Foto der Harfenistin Isabel Moreton Achsel

ISABEL MORETON ACHSEL
HARFE


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NICANOR ZABALETA - Biographie eines großen Harfenisten

Foto von Nicanor Zabaleta mit Isabel Moreton Achsel auf der Strasse in Santiago de Compostela 1992

Nicanor Zabaleta war einer der bedeutendsten, wenn nicht der bedeutendste Harfenist des 20. Jahrhunderts. Das folgende Interview wurde von Isabel Moreton Achsel am 16.8.1992 während eines Meisterkurses in Santiago de Compostela (Spanien) geführt. Nicanor Zabaleta schildert darin ausführlich sein gesamtes Harfenistenleben. Es ist das letzte Interview Zabaletas, der damals bereits schwer erkrankt war und am 1. April 1993 verstarb.



Isabel Moretón Achsel: Vielen Dank, daß Sie sich bereit gefunden haben, mir eine Stunde für das Interview zu schenken. Fangen wir doch gleich beim Anfang an: Verraten Sie mir, wann und wo Sie geboren wurden?

Nicanor Zabaleta: Warum nicht! Ich wurde am 7.1.1907 in San Sebastian geboren. Das ist die Hauptstadt des Baskenlandes. Wir lebten in der baskischen Provinz Guipuzcoa im Norden Spaniens nahe der französischen Grenze. Dort wurde ich geboren und ging ich als Kind zur Schule. Als ich siebeneinhalb Jahre alt war, begleitete ich Vater in ein Antiquitätengeschäft in San Sebastian. Der Zufall wollte es, daß es in diesem Antiquitätengeschäft eine kleine Harfe gab, der ich mich näherte, und offenbar (denn ich erinnere mich nicht daran) sagte ich "wie schön", und mein Vater kaufte sich diese Harfe.

Isabel Moretón Achsel: Was für eine Harfe war das?

Nicanor Zabaleta: Es war eine Einfachpedalharfe.

Isabel Moretón Achsel: Also doch schon ziemlich groß. Erinnern Sie sich, welche Marke es war?

Nicanor Zabaleta: Ja, ja, sie war groß, es war ein großes und ziemlich altes Instrument, deshalb war es in dem Antiquitätengeschäft. Es war eine Naderman, glaube ich jedenfalls. Ja, es war eine Naderman. Und weil ich so klein war, spielte ich natürlich nicht im Sitzen, sondern stehend. Jawohl. Das war im Sommer. Im Sommer gab es in San Sebastian ein in Spanien sehr berühmtes Casino. Das Casino von San Sebastian war in ganz Europa sehr bekannt. Dieses Casino hatte ein Sinfonieorchester, das über den Sommer aus Madrid kam. Dessen Dirigent war Maestro Arbos. Und in diesem Orchester war als Harfenistin die Senora Vicenta Tormo de Calvo, die Professorin für Harfe am Konservatorium von Madrid war. So kam es, daß ich anfing, bei ihr Unterricht zu nehmen.

Isabel Moretón Achsel: Gab es Musiker in ihrer Familie?

Nicanor Zabaleta: In meiner Familie war das mein Vater. Er war Musiker, Maler, Dekorateur, ein wirklicher Künstler. Er spielte ziemlich gut Flöte und sang auch mit einer sehr schönen Baritonstimme. Also gab es zu Hause ein gewisses musikalisches Ambiente. Und mein Bruder Diogenes, - ich hatte einen Bruder, der zehn Jahre älter war als ich, oder etwas mehr - spielte Geige. Er spielte bis zu seinem Tod, immer nur aus Liebhaberei, aber er spielte sehr gut. Ich beendete die Schule und danach studierte ich Handel in San Sebastian. Aber ich spielte nebenher immer Harfe, bis ich sechzehn wurde und meine Ausbildung beendete. Dann mußte ich entscheiden, ob ich die Laufbahn im Handel weiterverfolgen und mich in einer Bank oder in einem Geschäft anstellen lassen sollte, oder ob ich mich für die Harfe entschiede. Ich entschied mich für die Harfe, und so bekam ich ein Stipendium der Regierung von Guipuzcoa und fuhr damit zum Studium nach Paris.

Isabel Moretón Achsel: Wie war damals das Niveau der musikalischen Erziehung in Spanien?

Nicanor Zabaleta: Niedrig, sehr niedrig. Ich studierte in diesen Jahren dort immer etwas unabhängig, auf mich gestellt.

Isabel Moretón Achsel: War es damals normal, daß sich ein Mann der Harfe widmete?

Nicanor(lachend): Nein! Es war überhaupt nicht normal, ich glaube, ich war in jener Zeit der einzige in Spanien. Nein, es war nicht normal, nirgendwo spielten Männer Harfe. In Deutschland gab es einige Männer. Dort spielten in den Orchestern 7 oder 8 Harfenisten, aber in Spanien nicht. Es war ein wenig kapriziös, eine Laune von mir, ein wenig von meinem Vater angeregt, der die Musik sehr liebte, aber natürlich, weil es mir gefiel, und so begann ich mit dem Musikstudium.

Isabel Moretón Achsel: Also, dann fuhren Sie als 16-jähriger mit dem Stipendium nach Paris.

Nicanor Zabaleta: Mit 17; ich habe ein Jahr gebraucht, um dort hinzufahren. Dort studierte ich bei Marcel Tournier drei, fast vier Jahre und hatte auch Unterricht in Harmonie und Kontrapunkt. Ich studierte dort privat, da ich etwas zu alt war, um am Konservatorium aufgenommen zu werden, und so nahm ich Einzelstunden. Zu jener Zeit studierten bei Tournier die Siguera, die später Harfenistin im Orchester in Boston wurde, sowie eine gewisse Ledoux, die eine sehr gute Harfenistin war. Außerdem war da die Borot, Jacqueline Borot, diese Jacqueline, die bis vor kurzem Professorin am Pariser Konservatorium war. Es gibt viele Professoren, die Schüler von Tournier waren.

Isabel. Auch Lily Laskine? Oder war sie schon...

Nicanor Zabaleta: Nein, Lily Laskine war eine Zeitgenossin meines Lehrers, alles Schüler von Hasselmans.

Isabel Moretón Achsel: Aber Sie kannten Sie?

Nicanor Zabaleta: Ja, natürlich kannte ich sie. Nicht sehr gut, aber ich hatte die Gelegenheit, sie zu begrüßen und sie kennenzulernen. Und sie gab schon Konzerte, spielte in Orchestern, auf Hochzeiten, alle diese kleinen Dinge.

Isabel Moretón Achsel: Paris war damals die Hauptstadt der Harfe, nicht wahr?

Nicanor Zabaleta: Es war die Hauptstadt der Harfe in Bezug auf das Studium, da gibt es keinen Zweifel, in Bezug auf die Bildung, die Kreation, die Realisation von Harfensolisten, - das gab es auf der ganzen Welt nicht. Denn alle großen Harfenisten waren dort - der einzige, der von Zeit zu Zeit auftrat, war Grandjany, ein Schüler von Henriette Renié. Er war der einzige, der als Solist auftrat.

Isabel Moretón Achsel: Haben Sie danach noch andere Lehrer gehabt, oder nur Tournier?

Nicanor Zabaleta: Nein, nur Tournier.

Isabel Moretón Achsel: Und was denken Sie von ihm als Lehrer? Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

Nicanor Zabaleta: Also, ich habe ihn, und ich denke, die meisten seiner Schüler denken so, in sehr guter Erinnerung. Er war ein großartiger Lehrer, ein großer Musiker. Das beweisen auch seine Kompositionen, einige von ihnen sind, musikalisch gesehen, erwähnenswert, man kann sie heute noch spielen. Es gibt sonst keine Werke von Harfenisten, die man spielen könnte. Eine Ausnahme ist vielleicht Salzedo, von dem man ein oder zwei Stücke spielen kann, nicht mehr. Aber von Tournier gibt es mehr spielbare Werke, ja. Er war ein großer Musiker.

Isabel Moretón Achsel: Wer beeinflußte Sie musikalisch gesehen am meisten, auch wenn es kein Harfenist war?

Nicanor Zabaleta: Was mich persönlich am meisten beeinflußt hat, war Rubinstein, den Pianisten, spielen zu hören.

Isabel Moretón Achsel: Und welcher Harfenist beeindruckte Sie am meisten?

Nicanor Zabaleta: Also, ... kein Harfenist.

Isabel Moretón Achsel: Keiner???

Nicanor Zabaleta: Keiner. In dieser Zeit hörte ich Grandjany spielen, er war ein großer Künstler. Ich fühlte mich im Stande, so gut zu spielen wie er. Ja, ja, also beeinflußte mich kein Harfenist. Dann kommt die persönliche Formung. Man selbst formt sich weiter. Man hat bis zum Alter von 20, 21 Jahren einige Grundlagen von einem Lehrer gelernt, fundamentale Dinge, wie Technik, Ausführung, Musikalität - und nachher ist man es selbst, der sich entwickeln muß. Das Gleiche passierte mit mir. Ich ging viel in Konzerte, alle Arten von Konzerten, und ich hörte sehr viel zu. Harfenkonzerte gab es nur wenige. Klavier, Trio, Quartett, Orchester, ich ging in alles, was es gab. Das formt einen nach und nach.

Isabel Moretón Achsel: Welche Technik spielen Sie? Die von Tournier?

Nicanor Zabaleta: Ich benutze hauptsächlich die Technik, die mir Tournier beigebracht hat, die französische Schule. Und danach habe ich, auf diese Technik aufbauend, diese übertrieben, in der Artikulation und der Entspannung. Man muß die Hand immer komplett entspannt haben.

Isabel Moretón Achsel: Was halten Sie von all diesem Gerede der französischen, amerikanischen Technik: meine ist besser - nein, meine!?

Nicanor Zabaleta: Alles Blödsinn, alles. Du siehst ja, daß ich im Unterricht die Techniken nicht beachte. Wir finden ein musikalisches Resultat, nicht mehr. Du kannst mit den Füßen spielen, wenn Du willst, aber die Bögen, die Phrasierungen müssen gespielt werden, egal wie. Es interessiert mich nicht, ob Du auf diese oder jene Art spielst. Natürlich neigt man zu einer Technik mehr als zur anderen. Ich neige zur französischen Technik, die die Technik von Hasselmans ist. Von Hasselmans kommt die Technik all dieser französischen Professoren, Grandjany, Mme. Kahn, Tournier. Du hast eine sehr schöne Artikulation beim Spielen, eine normale Artikulation. Früher spielte man nicht so in Deutschland. Man spielte ein wenig mit den Fingern, nicht mehr. Früher hatte die Schule, die aus Wien kam, Jelinek und all die anderen Schüler von Parish-Alvars, eine sehr kleine Artikulation. Sie spielten nicht so, sondern nur mit dem ersten Fingerglied. Sie spielten sehr schnell, aber ohne großen Klang.

Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, ging ich nach Madrid, um den obligatorischen Militärdienst abzuleisten. In der Zeit von Saya, das gibt es heute nicht mehr, konnte man sich freikaufen und weniger Dienst ableisten. Das nannte sich "servicio de foca". Ich war im Dorf El Pardo in der Nähe von Madrid im Regiment der Telegraphen. Das einzige, was ich dort machen mußte, war ein sehr, sehr ruhiger Militärdienst, sehr angenehm auch, weil man sein Leben nicht in der Kaserne verbringen mußte, sondern in Madrid wohnte. Ich wohnte in Madrid in einer Pension und ging von da aus jeden Morgen in Uniform in die Kaserne.

Isabel Moretón Achsel: Wieviele Jahre waren das?

Nicanor Zabaleta: Neun Monate. Nach dem Militärdienst ging ich nach Amerika, und blieb dort 20 Jahre, ohne nach Europa zurückzukehren.

Isabel Moretón Achsel: Warum?

Weil ich dort arbeitete. Ich arbeitete in Nord- und Südamerika. Aber es war schwer am Anfang. Abgesehen davon, daß ich einen guten Start in New York hatte. In dem Konzert spielte ich als Solist mit der New Yorker Philharmonie, die von Jose Turbi, einem Pianisten, geleitet wurde. Er war damals sehr bekannt, auch als Dirigent. Er förderte mich. Danach trat ich auch mit der Philharmonie von Philadelphia auf. Ich hatte einen großartigen Erfolg bei der Kritik und dem Publikum. Es gab keine Tradition von Harfenkonzerten, auch nicht in Amerika. Da war Salzedo, der Professor war, er spielte gelegentlich, da war Grandjany, der ebenfalls Professor war und auch gelegentlich spielte, mehr nicht. Die Harfe war kein von den Managern und Konzertagenturen akzeptiertes Instrument. Trotz des großen Erfolges, den ich in N.Y. und Philadelphia hatte, brauchte es viel Zeit, damit ich nach und nach bekannt wurde.

Isabel Moretón Achsel: Wann war das?

Nicanor Zabaleta: Das war im Jahre 34. Danach, ab 1936, gab ich einige Konzerte in Kuba, die sehr gut bezahlt wurden, und mit dem Geld ging ich nach Mexiko. Ich fand dort eine sehr gute Konzertagentur, die es auch in Spanien gibt, die "Conciertos Daniel", die mich sehr gut empfingen und förderten. Ich gab eine Menge Konzerte in Mexiko, danach fing ich mit einer Tournee durch ganz Lateinamerika an, das war mehr oder weniger leicht. Und mit den Ersparnissen, die ich in Lateinamerika machte, fuhr ich in die Vereinigten Staaten. Jedes Jahr gab ich ein Konzert in N.Y. in der Town Hall. Das machte ich 6 oder 8 aufeinanderfolgende Jahre lang, und schließlich fiel es auch den Amerikanern auf, daß es dort einen Künstler gab, und der Weg begann sich zu ebnen. Ich hatte einen guten Manager in den USA, der mir Türen überall in den Staaten öffnete. Gleichzeitig spielte ich in Lateinamerika, das waren zwei Felder, auf denen ich mich gleichzeitig fast 20 Jahre bewegte. Während eines Konzertes, das ich 1950 an der Universität von Puerto Rico gab, lernte ich rein zufällig meine Frau kennen. Grazila, so heißt meine Frau, und einige ihrer Freunde, ein Ehepaar, gingen in dieses Konzert. Der Herr war Spanier, ebenfalls mit einer Puertoricanerin verheiratet, sie gingen in das Konzert und luden sie ein. Sie wollte nicht gehen, weil sie keine Harfenkonzerte kannte und sie das nicht interessierte. Sie fand das sehr langweilig. Schließlich ging sie doch mit, und während der Pause wurde sie mir vorgestellt. Sie sagte gar nichts, blieb stumm, fast ohne ein Wort zu sagen. Sie gefiel mir. Es gefiel mir, wie sie angezogen war, ihre Ausstrahlung, und es ist möglich, daß genau diese Haltung meine Neugierde erweckte. Diese Art nicht viel zu sagen. Sie gratulierte mir, und das war alles. Am Tag danach rief ich meine Freunde an und fragte, wer diese Freundin von ihnen sei. Und so trafen wir uns zu einem Abendessen. Und von da an lief die Sache...

Isabel Moretón Achsel: Stimmt es, daß Ihre Frau hervorragend Harfe spielt?

Nicanor Zabaleta: Nein, sie spielt gar nichts. Sie hat ein wenig Klavier gespielt, sonst nichts. Aber sie spielt nicht mehr. Harfe - nie! Sagt man das? Wie kurios! Warum. wohl? Nun, das ist kurios. Ich kann sagen, daß dem nicht so ist.

Wir lernten uns im Jahre 50 kennen und heirateten 1952. Dann entschloß ich mich, nach Europa zu kommen, mich in Europa bekannt zu machen. In Europa hatte ich noch gar nichts gemacht, absolut gar nichts. Und so kam ich. Aber natürlich, ich fand mich damit konfrontiert, daß niemand, absolut niemand, an der Harfe interessiert war.

Isabel Moretón Achsel: Gingen Sie direkt nach Spanien?

Nicanor Zabaleta: Ja, nach Spanien, nach San Sebastian. Was ich dann gemacht habe, war, in den wichtigsten europäischen Städten über lokale Manager selbst Konzerte zu organisieren. Ich gab Konzerte in Paris, London, Amsterdam, Den Haag, Hamburg, München, Zürich, Kopenhagen und Stockholm. Die Konzerte bezahlte ich selbst mit dem Geld, das ich in Amerika gespart hatte. Denn man mußte sich bekannt machen, weil niemand einen unter Vertrag nahm. Der Erfolg in den Kritiken war sehr groß, es war wirklich ein hervorragender Erfolg, der mir alle Türen in Europa öffnete. Ich wurde viel in Deutschland unter Vertrag genommen. In Deutschland habe ich mindestens 300 Konzerte gegeben.

Isabel Moretón Achsel: Wann waren Sie das erste Mal in Deutschland und welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Land?

Nicanor Zabaleta: Gut, die Erfahrungen. Als erstes setzte ich mich mit deutschen Harfenisten in Verbindung. Mit einem Harfenisten Zingel aus Köln. Er sagte, daß er mich kenne, da ich ja schon in Amerika bekannt sei, und sagte, daß es in Deutschland keine Tradition der Harfenkonzerte gäbe. Und ich antwortete ihm: "Nun, ich werde es versuchen". Ich gab jeweils ein Konzert in Hamburg und München, das erste war in Hamburg. Im Jahre 54, 55. Und dann habe ich einige große Tourneen mit Kammerorchestern gemacht, mit diesem berühmten englischen, St.-Martins-in-the-Fields. Ich habe eine Tournee mit ihnen gemacht, wir haben 18 Konzerte in Deutschland gegeben. Ich habe einige Tourneen gemacht, alle sehr wichtig. Bis ich müde wurde.

Isabel Moretón Achsel: Es gibt viele Werke, die Ihnen gewidmet sind. Wie kam das? Sind Sie auf den Komponisten zugegangen mit der Bitte: "Schreiben Sie ein Werk für die Harfe" oder war es mehr so, daß sie sagten "Ich habe Zabaleta spielen gehört, ich will ihm ein Stück schreiben?"

Nicanor Zabaleta: Es war ein wenig von alldem. Der Großteil dieser Werke entstand dadurch, daß ich mich an den Komponisten wandte, ihn in die Harfe einführte, ihm die Möglichkeiten und die Grenzen der Harfe erklärte. Man muß ihm das sagen, nicht wahr. Die Harfe ist kein perfektes Instrument. Sie ist ein komplettes Instrument, mit Begleitung und einer rechten Hand, aber sie ist nicht perfekt. Nicht einmal das Orchester selbst ist ein perfektes Instrument. Weil man z.B. die Kontrabässe und Celli hört, sie aber in einem Forte nicht gegen die Oboen und Klarinetten ankämpfen können. Also gibt es dort ein Ungleichgewicht in der Balance. Mit der Harfe passiert das Gleiche. Sie hat ein großes Problem mit der linken Hand: die Resonanz der langen Saiten aus Darm und Metall. Es gibt nicht, wie beim Klavier, ein System zum Abdämpfen. Die Resonanz ist das größte Problem, was wir haben, und im Augenblick ist es noch nicht gelöst.

Also, man muß sich dem Komponisten nähern, ihm die Möglichkeiten schildern, und er interessiert sich sofort. Wenn Komponisten merken, daß es die Möglichkeit gibt, daß ihr Werk aufgeführt wird, interessieren sie sich sehr.

Isabel Moretón Achsel: Sie haben so viele Transkriptionen gemacht, vor allem von spanischer Musik. Warum? Weil es wenig gute Musik für Harfe gibt, oder eher, weil es so viele schöne Werke für Klavier gibt?

Nicanor Zabaleta: Hauptsächlich, weil es, abgesehen vom 16. und 17. Jahrhundert, kein spanisches Repertoire gibt. Damals gab es viel Musik. Aber schließlich kann man kein ganzes Konzert nur mit Renaissancemusik geben, weil sich der Zuhörer sonst langweilen würde. Uns fehlt das große Repertoire, vor allem das romantische Repertoire. Denn die Doppelpedalmechanik war damals noch nicht entwickelt, die wurde so ungefähr im Jahre 1820 entwickelt. Aber bis Komponisten in der ganzen Welt das bemerkten, war es schon Ende des Jahrhunderts. Erst seit den französischen Impressionisten, Debussy, Ravel, Schmidt...

Und heute wird die Harfe als normales Instrument akzeptiert - doch es gibt auch an vielen Orten noch Widerstände. Dort muß man hingehen... Nun gut, wie bekämpft man diesen Widerstand? Indem man Programme mit guter Musik präsentiert. Das mit den Transkriptionen mache ich erst kurze Zeit. Das jetzige Projekt in meiner Karriere. Ich habe eine Karriere von sechzig Jahren hinter mir. Dieses ist das Letzte: Es sind zweiundsechzig Jahre, die ich gegen die ganze Welt gekämpft habe. Praktisch in der ganzen Welt.

Isabel Moretón Achsel: Sie haben eben gesagt, daß Sie sich dieses Jahr aus dem aktiven Konzertleben zurückgezogen haben. Was war das Beste und was war das Schlimmste, was Ihnen in dieser Zeit passiert ist?

Nicanor Zabaleta: Sehr gute Frage!

Also das Beste: es ist schwer zu sagen, was das Beste war. Das Beste waren alle diese Debuts, die ich in Europa gegeben habe, meine erste Begegnung mit Europa, mein erstes Konzert in Europa. Das waren alles Konzerte von berauschendem Erfolg. Das war in London, wo ich hervorragende Kritiken bekam, das gleiche in Zürich, in Hamburg, in München, einige hervorragende Kritiken.

Isabel Moretón Achsel: Eine Zwischenfrage: Wenn die Kritiken schlecht gewesen wären, wären Sie dann nach Amerika zurückgekehrt?

Nicanor Zabaleta: Genau. Wenn ich nicht dieses Betätigungsfeld in Europa gehabt hätte, hätte ich mich nach Amerika zurückgezogen, ja. Auf jeden Fall bin ich von Europa aus jedes Jahr - bis letztes Jahr - nach Amerika zurückgekehrt. Ich habe in Amerika auch aufgehört.

Isabel Moretón Achsel: Und das Schlimmste, was passiert ist?

Nicanor Zabaleta: Das Schlimmste, was passiert ist: mal sehen (Pause). Ja, ich weiß nicht, ob es das Schlimmste war, aber ein unangenehmes Erlebnis hatte ich bei einem Konzert, das ich in der Nähe von Hamburg gab. Bei der Telemann-Gesellschaft, ich glaube, so hieß sie, in dem das Programm für einen Soloabend nicht angezeigt war. Es war kein Erfolg. Ich glaube, das war eines der wenigen Konzerte, die ich gegeben habe, die kein großer Erfolg waren.

Isabel Moretón Achsel: Und erinnern Sie sich an das erste und letzte Konzert,das Sie gegeben haben?

Nicanor Zabaleta: Das erste war natürlich in meiner Heimatstadt San Sebastian. Ich glaube, es war das, was ich im Teatro Principe gegeben habe. Und das letzte war das, was ich jetzt gerade mit Kammerorchester am 16.6. dieses Jahres in Madrid gegeben habe. Das ist eine lange Zeit gewesen, denn das von San Sebastian muß im Jahre 1928 gewesen sein.

Isabel Moretón Achsel: Erinnern Sie sich an ein Konzert, von dem Sie sagen würden: "Das war das beste meines Lebens!" - ich meine nicht von den Kritiken, sondem...

Nicanor Zabaleta: Ja, ja, von einem selbst. Eines der besten - natürlich ist es schwer zu sagen, welches das beste sein könnte - aber eines der besten, wirklich wunderbar war das letzte, was ich in New York in der Tulley-Hall gegeben habe. Das ist im Lincoln-Center. Ich glaube, das war eines meiner besten Konzerte.

Isabel Moretón Achsel: Wissen Sie noch, was sie dort gespielt haben?

Nicanor Zabaleta: Ich erinnere mich nicht. Es wird wohl etwas Barockes, ein wenig Spanisches und auch etwas Zeitgenössisches gewesen sein.

Isabel Moretón Achsel: Welches sind Ihre Lieblingswerke?

Nicanor Zabaleta: Mir gefällt alles, was gute Musik ist. Es ist schwer auszuwählen. Gut geschriebene Werke. Wunderbar geschrieben und außerdem gute Musik ist die Sonate von Hindemith. Es ist eins der schönsten Werke, die wir im Repertoire haben, eins meiner bevorzugten Werke. Dann sind da noch die französischen Impressionisten. Die Stücke von Caplet sind gut. Die beiden von Caplet. Und natürlich die Stücke mit kleinem Orchester, wie Ravel und Debussy.

Isabel Moretón Achsel: Warum unterrichten Sie so wenig? War das früher anders? Sie geben nur diesen Meisterkurs im Sommer in Santiago, wenn ich richtig informiert bin.

Nicanor Zabaleta: Ja, das ist alles, was ich im ganzen Jahr mache. Ich mache das erst seit vier Jahren, nicht mehr. Das hier ist das vierte Jahr. Vorher habe ich zwei Jahre lang Kurse in Granada gegeben. Ich habe nicht mehr gemacht, weil ich wegen der Konzerte keine Zeit hatte. Früher habe ich in Siena unterrichtet, vier Jahre lang. Aber das ist schon 20 Jahre her, und ich mußte es lassen, weil es nicht ging. Ich hatte zu der Zeit zu viele Konzertverpflichtungen, und der Kurs wurde zerstückelt, das war nicht angebracht.

Isabel Moretón Achsel: Werden Sie diesen Kurs weiterhin geben, oder ziehen Sie sich auch davon zurück?

Nicanor Zabaleta: Ich bin mir nicht sicher, was ich machen werde. Das hängt jetzt vor allem von meiner Gesundheit ab. Ich plage mich noch etwas, es wird schon wieder besser, aber schließlich bin ich schon alt. Ich bin 86 1/2.

Isabel Moretón Achsel: Man sieht es Ihnen wirklich nicht an!

Nicanor Zabaleta: Nicht wahr, man sieht es nicht! Das kommt daher, daß ich die Haare gefärbt habe, aber ich werde sie nicht mehr färben lassen, ich werde schlohweißes Haar haben. Wenn Du mich nächstes Jahr siehst, wird es ganz weiß sein.

Isabel Moretón Achsel: Was halten Sie von Meisterkursen im Besonderen, vor allem von diesem Kurs für spanische Musik?

Nicanor Zabaleta: Ich glaube, es ist sinnvoll, so einen Kurs für spanische Musik abzuhalten. Denn außerhalb des Landes kennt man sie kaum. Selbst im Land kennt man sie nicht sehr gut. Es scheint mir eine gute Maßnahme. Aber im Hinblick auf Kurse ist die Zeit zu kurz. 20 Tage sind zu wenig für einen Kurs. Es müßte wie in Siena sein, zwei Monate lang, um die Technik zu entwickeln und etwas am Repertoire zu arbeiten. Auf jeden Fall dienen den Studenten die 20 Tage, die wir hier zusammen sind, zur Orientierurig und als Basis, auf der sie dann aufbauen können.

Isabel Moretón Achsel: Haben Sie vor, eine Autobiographie zu schreiben?

Nicanor Zabaleta: Man bittet mich schon darum, ja. Und vielleicht schreibe ich sie schließlich sogar. Auf jeden Fall habe ich alle Informationen, alle Programme von allen Konzerten, alle Kritiken, gute wie schlechte, gesammelt. Es sind wenig schlechte, vielleicht 2%. Aber ich hebe sie auf.

Isabel Moretón Achsel: Die schlechten Kritiken... Ich werde sehr wütend, wenn ich eine schlechte Kritik bekomme. Als ich z.B. das allererste Mal im Orchester spielte, Don Juan von Strauss, schrieb ein Kritiker: "...auch wenn die Harfe gelegentlich etwas aufdringlich war". Und das mir!!

Nicanor Zabaleta: Nun, das ist die Schuld des Dirigenten, der die Tonfärbung jedes Instrumentes kennen muß. Andererseits muß man die Harfe sehr laut spielen, manchmal natürlich etwas leiser. Aber niemals ganz leise, weil der Klang sonst verloren geht.

Isabel Moretón Achsel: Aber schlechte Kritik...

Nicanor Zabaleta: Schlechte Kritiken beachtet man nie. Absolut keine. Man weiß, daß der Dirigent kritisiert werden muß. Der Rest ist Blödsinn.

Isabel Moretón Achsel: Welche Harfenmarke benutzen Sie? Ich habe auf einem Foto gesehen, daß Ihre Harfe ein System zum Abdämpfen hat. Ist es eine Idee von Ihnen?

Nicanor Zabaleta: Ich habe zwei Obermeier und eine Horngacher, der Schüler von Obermeier war und mit ihm zusammenarbeitete. Nach Obermeiers Tod übernahm Horngacher die Firma. Diese drei Harfen haben ein Abdämpfpedal das war meine Idee. Als ich das erste oder zweite Mal nach München fuhr, sprach ich mit Obermeier über die Möglichkeit, mir eine Harfe zu bauen. Und ich stellte ihm die Bedingung, daß ich eine Harfe mit Dämpfpedal wollte. Er hatte das noch nie gemacht und sagte, nun, er wolle es probieren. Ich erinnere mich, er schickte mir einen Brief nach San Sebastian, in dem er schrieb, daß er das Problem nicht lösen könne. Aber einige Tage später schrieb er einen zweiten Brief, daß alles gelöst sei, und zwar sehr gut. Und daß ich nach München kommen sollte. Und so fuhr ich nach Bayern. Die Harfe war sehr gut, genau das, was ich wollte. Also erklärte ich ihm, wo und in welcher Position ich das Pedal haben wollte. Inzwischen hat Salvi auch solche Harfen. Salvi hat es kopiert, denn ich habe auf einer seiner Harfen gespielt, die das Dämpfpedal ebenfalls hatte. Wunderbar, sehr gut. Natürlich muß man einen Aufpreis für diese Harfen bezahlen, sie sind teurer.

Ich weiß nicht, ob sich diese Idee weiterentwickelt, denn es kompliziert das Harfenspiel ungemein. Es kompliziert es, weil die sieben Pedale die Funktion der Chromatik haben, Erhöhen und Erniedrigen von Tönen, dagegen hat das achte Pedal nicht diese chromatische Funktion, sondern die des Abdämpfens. Bis man sich an dieses Pedal gewöhnt, dauert es sehr lange, es sei denn, man beginnt gleich mit dem achten Pedal. Das wäre vielleicht möglich. Aber für einige bestimmte Effekte ist es sehr praktisch, für bestimmte Musik, für Cembalomusik z.B. So benutzen wir die Harfe als expressives Cembalo, das klingt sehr schön. Um Akkorde zu differenzieren, um abzudämpfen, um Klarheit und Sauberkeit in bestimmten Passagen zu erreichen, es gibt viele Möglichkeiten. ( ... ) Von einigen Harfenisten wird das Dämpfpedal akzeptiert, von anderen nicht. Das hängt von der Meinung jedes einzelnen ab.

Isabel Moretón Achsel: Welches sind Ihrer Meinung nach die schwersten technischen Mängel der Harfe?

Nicanor Zabaleta: Technische Mängel? Nun, hauptsächlich das, wogegen wir die ganze Zeit ankämpfen, daß man nicht jede Note abdämpfen kann. Das kann vor allem bei den großen Harfen ein ziemliches Durcheinander bewirken. Man kann auf das tiefe Register achten, und es kommt nichts Klares oder Reines heraus. Das ist der schwerste Mangel am Instrument.

Isabel Moretón Achsel: Was wären Sie gerne, abgesehen vom Musiker, geworden?

Nicanor Zabaleta: Ich wäre gerne Wissenschaftler geworden. Egal welche Wissenschaft. Bevor ich als 17jähriger nach Paris fuhr, um Musik zu studieren, hatte ich einen Brief an einen Freund abgeschickt, der in Liège Elektrotechnik studierte. Das interessierte mich sehr. Aber zufällig gab mir die Regierung von Guipuzcoa dieses Stipendium, und der Freund antwortete nie auf meinen Brief. So entschied ich mich für die Musik. Solche Dinge passieren im Leben.

Isabel Moretón Achsel: Jetzt noch die obligatorische letzte Frage: Haben Sie Ratschläge für zukünftige Harfenisten?

Nicanor Zabaleta: Nun, den Rat, den man jedem Instrumentalisten, egal welchen Instruments, gibt und von jedem Lehrer hört: arbeiten, arbeiten, arbeiten!

Isabel Moretón Achsel: Haben Sie vielen Dank für dieses ausführliche und persönliche Interview!


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